Gastbeitrag: Griechenland die Zweite

Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen beschreibt in diesem Beitrag, warum eine Umschuldung inklusive eines Forderungsverzichts der Gläubiger für Griechenland notwendig ist. Der geneigten Leserin wird der Zusammenhang zwischen den Themen der Besteuerung, Verschuldung und Finanzkrisen zwar schon bekannt sein - für all jene, die damit wenig anfangen können, hält der Artikel wichtige Einsichten bereit. Viel Spaß beim Lesen und Danke an Herrn Hickel für den Gastbeitrag.

Drakonische Disziplinierung und Hilfspakte: Keine nachhaltige Lösung für Griechenland - Eine Umschuldung wird unvermeidbar


Der Streit um die Ursachen, Folgen vor allem die Lösung der „griechischen Tragödie“ ist diffus. Das überrascht nicht. Denn Griechenland ist am Ende nur das Symptom eines bereits durch schwere Geburtsfehler gekennzeichneten Eurolandes ebenso wie einer aggressiven Exportstrategie der deutschen Wirtschaft innerhalb des Euroraums sowie massiver Spekulationen der übermächtigen Finanzmärkte. Dabei lenkt die gebetsmühlenhafte Kritik an den im internationalen Vergleich zu hohen öffentlichen Ausgaben von der dominanten Krisenursache nur ab. Griechenland leidet unter viel zu geringen Steuereinnahmen. Nach Statistiken der OECD liegt der Anteil der Einkommensteuer am Bruttoinlandsprodukt nur bei 4,7%.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Die legale Besteuerung ist vor allem bei den Vermögenden und Topverdienern viel zu gering. Jedoch selbst die gesetzlich gewollte Besteuerung wird durch Steuerhinterziehung und Korruption vor allem der Oberschicht nicht durchgesetzt. Schließlich ist die schwache Ökonomie Griechenlands eine Ursache völlig unzureichender Steuereinnahmen. Diese Ursachen müssen bei einer Überwindung der Schuldenkrise Griechenlands berücksichtigt werden. Heiner Flassbeck irrt, wenn er nur auf die Ursachen verweist, jedoch den drohenden Staatsbankrott selbst nicht sehen will. Nach der gängigen Definition ist von einer Staatspleite die Rede, wenn, wie auch immer verursacht, die Zahlungsfähigkeit (Liquidität) eines Landes nicht mehr gegeben ist. Übrigens Spekulanten können ursächlich diese fiskalische Notlage nicht herstellen. Vielmehr nutzen sie diese für skandalöse Spekulationsgeschäfte. Gewettet wird auf den Absturz Griechenlands, der am Ende durch die Politik verhindert werden könnte. Dazu dienen vor allem die Geschäfte mit den Versicherungen auf die griechischen Staatsanleihen. Dadurch werden die Zinnssätze nach oben getrieben und schließlich der Zugang zu öffentlichen Kreditaufnahme auf den Kapitalmärkten verbaut.

Wie auch immer die Ursachenanalyse ausfällt, der drohende Staatsbankrott muss verhindert werden. Dazu lohnt sich eine kurze Definition eines Staatsbankrotts im Vergleich zu Unternehmensinsolvenzen. Ein Staat wird üblicherweise als insolvent, ja, bei eigenem Verschulden als bankrott bezeichnet, wenn die Ausgaben für Zinsen und Tilgung der Staatsschulden nicht mehr gegenüber den Gläubigern geleistet werden können. Nach gängigen Erfahrungen mit Ländern am Rande der Staatspleite sehen Anleger auf den Kapitalmärkten bereits bei einem Anteil von 30 bis 40 Prozent der aufzubringenden Zinsen gegenüber den öffentlichen Gesamteinnahmen die Gefahr, dass dauerhaft die Zinsen und die Tilgung aus eigener Kraft nicht mehr finanziert werden können. In dieser Situation nützt die von Heiner Flassbeck in einem Kommentar aufgestellte Behauptung wenig, Griechenland bewege sich nicht in der Zone eines Staatsbankrotts, weil es ja auch über riesiges Volksvermögen verfüge, nichts. Um die Zahlungsfähigkeit zu erhöhen, müssten nach dieser Logik große Teile des Volksvermögens verkauft werden. Sollen deshalb ernsthaft Inseln oder gar die Akropolis veräußert werden?

Es ist also die aktuelle Zahlungsunfähigkeit, die Griechenland den Zugang zu den Kapitalmärkten verbaut. Die Anleger verweigern wegen des Ausfallrisikos den Kauf von staatlichen Schuldtiteln und damit die ansonsten übliche Finanzierung von Staatsausgaben. Dabei geht es aktuell nicht einmal um eine über die Finanzierung der Tilgung von fälligen Staatsanleihen hinaus gehende Netto-Neuverschuldung. Vielmehr verweigern die Kapitalmärkte die Anschlussfinanzierung für derzeit fällige Staatsanleihen, die Griechenland nicht bezahlen kann. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds ist bis 2010 mit fällig werden Staatsanleihen von über 120 Mrd. € zu rechnen.

Staatsbankrott – Was ist das?
Ein Staatsbankrott ist allerdings nicht mit einer Unternehmenspleite vergleichbar. Wenn Unternehmen nicht mehr überlebensfähig sind, dann werden nach Ausschöpfung der Insolvenzordnung die Produktionsstätten geschlossen und die Beschäftigten entlassen. Eine vergleichbare Insolvenzordnung kann es für Staaten nicht geben. Schließlich lässt sich die Bevölkerung aus einem Pleitestaat nicht per Dekret auflösen. Dieser systematische Unterschied zwischen bankrotten Staaten gegenüber einer nach rechtlichen Regeln abgewickelten Unternehmensinsolvenz zwingt zu einer politischen Lösung der internationalen Staatengemeinschaft. Im Fall Griechenland sind es die anderen Euroländer zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds.

Drei Optionen werden derzeit zur „Lösung“ der drohenden Staatspleite Griechenlands diskutiert:

1. Die radikalste Option setzt auf einen Rausschmiss Griechenlands aus dem Euroland und damit zur Rückkehr zur Drachme. Diese Exitoption ist politisch und ökonomisch dumm. Die Spekulanten würden einem Dominoeffekt vergleichbar andere Problemstaaten, wie Spanien und Portugal, am Ende wohl auch erfolgreich auf die Abtrennung vom Euroland testen. Der oft beschworene Mechanismus, die Drachme könne per Abwertung die Exportwirtschaft stärken, zeigt von mangelndem Sachverstand. Abwertungen von Währungen wirken nur, wenn es sich um eine hochentwickelte Außenwirtschaft handelt. Griechenland würde zum dauerhaften Notland, dann allerdings nur noch für den IWF.)

2. Das jetzt von den Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds geschnürte Hilfspaket mit einem Volumen von 110 Mrd. € bis 2012 setzt auf den Kauf von Zeit. Dieses Bekenntnis für Griechenland kann durchaus die Spekulanten für einige Zeit verjagen. Sie werden allerdings dann den Test auf die Staatskrise bei anderen schwachen Kandidaten im Euroland probieren. Dieses Programm trägt am Ende jedoch nicht zur Stärkung der griechischen Gesamtwirtschaft bei. Im Gegenteil, durch die harten Konsolidierungsprogramme mit massiven Kürzungen beim Personal im öffentlichen Dienst, den sozialen Transferausgaben zusammen mit der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf 23% wird die griechische Binnenwirtschaft in eine Rezession gezwungen, also kaputt gespart. Wenn also die ökonomischen Besserung als Basis der fiskalischen Sanierung nicht einritt, dann schlagen ab 2013 wieder voll die extrem hohen Staatsschulden zusammen mit hohen Zinszahlungen durch. Der Kauf von Zeit könnte also missglücken, weil sich die Gesamtwirtschaft nicht erholen kann. .

3. Deshalb sollte eine Umschuldung mit dem Ziel des Forderungsverzichtes der bisherigen Gläubiger in Betracht gezogen werden. Länder, die von Schuldenkrisen in den letzten Jahren heimgesucht wurden, sind am Ende nur durch Forderungsverzichte vom Staatsbankrott bewahrt worden. Dafür bietet die jüngere Geschichte wichtige Hinweise: Im August 1998 wurde Russland von einer den Staatsruin vorantreibenden Schuldenkrise heimgesucht. Argentinien stand 2001/2002 ebenfalls kurz vor dem Bankrott. Auch Ecuador, die Ukraine, Pakistan, Uruguay bewegten sich in der Zone der Staatspleite. Wie das Beispiel Russland lehrt, konnte die tiefe staatliche Finanzkrise in den betroffenen Ländern mehr oder weniger überwunden werden. Heute hat Russland auch wieder Zugang zu den Kapitalmärkten. Alle Rettungsprogramme zeigen: Die vielfach geschnürten Hilfspakete durch den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und andere Staaten reichten nicht aus. Die Staatspleiten wurden erst durch eine Umschuldung mit hohen Forderungsabschlägen zu Lasten der Gläubiger, einem „hair cut“, überwunden. So haben die Gläubiger gegenüber Russland auf 69,2% (2000) ihrer Forderungen und gegenüber Argentinien mit 67 % (2005) verzichtet. Diese Erfahrungen sollten für Griechenland genutzt werden.

Umschuldung durch Forderungsverzichte
Für Griechenland sollte ein Umschuldungsprogramm mit der Festlegung von Forderungsverzichten der Gläubiger geprüft werden. Dazu wäre eine Gläubigerkonferenz, die den Forderungsverzicht regelt, einzuberufen. Wer sind die Gläubiger: nicht nur Staaten, sondern neben griechischen Banken auch Finanzmagnaten in Griechenland. Nach den jüngsten Angaben der „Bank für Internationale Zusammenarbeit“ betrug Ende 2009 der Bestand an griechischen Auslandsschulden 236, 2 Mrd. US $. Die Gläubiger konzentrieren sich mit 79% auf Europa. Die deutschen Banken waren Ende 2009 Gläubiger mit insgesamt 31,4 Mrd. €. Auf Frankreich konzentrierten sich 52,6 Mrd. €. Auch die Schweiz gehört zu den namhaften Gläubigerländern. Von einem Teilforderungsverzicht wären vor allem in Deutschland die HypoRealEstate, die Commerzbank, die Postbank, einige Landesbanken aber auch einige Versicherungsunternehmen (die gesamte Gruppe der ALLIANZ SE mit 3,5 Mrd. €) betroffen. Banken, die derzeit durch staatliche Hilfen gerettet werden, sollten in begründeten Fällen durch öffentliche Hilfe aufgefangen werden. Forderungsverluste treffen jedoch auch Gläubiger in Griechenland. Ein Großgläubiger ist aufgrund seines Besitzes von griechischen Bonds der Chef eines Finanzimperiums, der Grieche Spiros Latsis. Er müsste mit einem Verzicht auf Forderungen gegenüber dem griechischen Staat, mit denen er bisher hohe Renditen erzielen konnte, einen Beitrag zur Rettung Griechenlands leisten. Sicherlich würde diese Maßnahme einen Schock auf den Finanzmärkten auslösen. Immerhin würde durch den Forderungsverzicht die Geschäftsbasis für Spekulationen mit den Kreditversicherungen (CDS) zusammenbrechen.

Die im Kontext der Krise des Eurolands oftmals geforderte Regulierung der Finanzmärkte ist richtig. Die öffentlichen Finanzen müssen von der Profitwut der Finanzmärkte entkoppelt werden. Auch muss endlich eine Finanztransaktionsteuer durchgesetzt werden. Kurzfristig bedarf es jedoch einer schnell wirkenden Strategie zur Befreiung Griechenlands aus der Krise.

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