Abgeltungssteuer statt automatischer Informationsaustausch: Interesse in Europa wächst

Bern, 1. 2. 2011. Der europaweite automatische Informationsaustauch ist zunehmend in Gefahr. Die Schweiz will mit einer Abgeltungssteuer das gemeinsame Vorgehen der EU-Staaten untergraben. Am Weltwirtschaftsforum in Davos haben verschiedene europäische Staaten Interesse am Schweizer Vorschlag gezeigt.

Die Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey reiste letzte Woche mit einer besonderen Mission ans Davoser Weltwirtschaftsforum. Am Rande des Treffens unterhielt sie sich mit Vertretern verschiedener EU-Staaten über die Steuerflucht und pries den Schweizer Vorschlag einer Abgeltungssteuer an.

Die Schweiz würde mit diesem neuen Abgeltungsmodell eine Ertragssteuer auf alle möglichen ausländischen Vermögenswerte erheben und die Erträge anonym an die Herkunftsländer überweisen. Das heisst, sie würde Geld statt Daten an die Heimatländer ausländischer Steuerhinterzieher überweisen (mehr Informationen dazu hier auf diesem Blog).

Der Unterschied zum aktuellen Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU wäre, dass die so besteuerten Vermögenserträge im Heimatland damit als "abgegolten", also ordentlich versteuert gelten würden. Sie müssten im Herkunftsland nicht in die Steuererklärung aufgenommen werden.

Mit Deutschland und Grossbritannien sind Verhandlungen über diesen Gegenvorschlag zum automatischen Informationsaustausch bereits im Gang (siehe dazu den Kommentar auf diesem Blog.) Doch nach ihrem Besuch am WEF betonte die Schweizer Bundespräsidentin gegenüber der NZZ am Sonntag, auch das Interesse anderer europäischer Staaten wachse: "Ich kann nicht verhehlen, dass nach Deutschland und England nun auch andere Staaten aus Europa Interesse am Modell der Abgeltungssteuer haben."

Österreich hat bereits Lunte gerochen. Aus dortigen Regierungskreisen heisst es, der Kanzler halte das Modell "für einen diskussionswürdigen Ansatz, auch für Österreich". Als weitere mögliche Interessenten nennt die NZZ am Sonntag Griechenland und Polen.

Italien hingegen scheint weiterhin berechtigten Widerstand zu leisten und sich für mehr Steuertransparenz einzusetzen. Das stösst der Schweizer Regierung sauer auf. In einem Interview mit einer Tessiner Zeitung kritisierte Bundespräsidentin Calmy-Rey, dass sich der italienische Finanzminister Tremonti derzeit bilateral und in der EU gegen sämtliche Versuche stemme, mit der Schweiz zu einem einvernehmlichen Lösung in Steuerfragen zu gelangen.

Nur: Sollten Deutschland, Grossbritannien und andere EU-Staaten auf den Schweizer Vorschlag einschwenken, würde Italien mit seinem Widerstand gegen dubiose Kompromisse bald auf einsamer Flur stehen. Der gemeinsame europäische Einsatz für den automatischen Informationsaustausch würde deutlich geschwächt.

Mark Herkenrath, Alliance Sud

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