Kampf der internationalen Steuerhinterziehung: zwei Schritte vor, einer zurück

Dieser Beitrag von Bruno Gurtner, dem Präsidenten des internationalen TJN-Vorstands, erschien kürzlich im newsletter des Wiener Instituts. Er gibt einen runden Überblick über den aktuellen Stand in den verschiedenen Arbeitsschwerpunkten von TJN. Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir hier den ganzen Artikel.

Die Abkommen über eine Abgeltungssteuer zwischen der Schweiz einerseits und Grossbritannien, Deutschland und Österreich anderseits ist in den Augen des Tax Justice Network (TJN) ein Rückschritt. Mit diesen Abkommen wird einerseits eine einmalige Nachbesteuerung von nicht deklarierten Einkommen und Vermögen vereinbart und anderseits eine wiederkehrende Quellensteuer auf die künftigen Erträge aus Kapitalien in der Schweiz festgelegt. Noch haben die Abkommen den parlamentarischen Ratifikationsprozess nicht überstanden, der insbesondere in Deutschland, aber auch in der Schweiz selbst, nicht unumstritten ist. SteuerhinterzieherInnen können damit ihre Anonymität retten.

Das ist eine neue Barriere gegenüber dem grenzüberschreitenden automatischen Informationsaustausch in Steuersachen, für den sich das Tax Justice Network stets und beharrlich einsetzt. Ein automatischer Austausch wäre das wirksamste Instrument wider die internationale Steuerhinterziehung. Noch stärkere Anstrengungen gegenüber diesem Diebstahl am Volk sind nötig, zumal die Deliktsummen keineswegs abnehmen, im Gegenteil! Das Volumen der Hinterziehung hat sich trotz Finanzkrise verstärkt. Im Jahre 2005 schätzten wir den Umfang der „offshore“ gehaltenen Vermögen noch auf 11.500 Milliarden Dollar. Heute gehen ExpertInnen davon aus, dass über 20.000 Milliarden, größtenteils unversteuert, „offshore“ liegen. Das TJN hofft, dazu in Bälde detaillierte Angaben machen zu können.

Im November 2011 publizierte das Tax Justice Network neue Schätzungen über die globale Steuerhinterziehung. Gestützt auf Weltbank-Daten zur Schattenwirtschaft beträgt die globale Steuer- hinterziehung die riesige Summe von 3,1 Billionen Dollar. Das entspricht 5,1 % des globalen Bruttoinlandproduktes. Die TJN-Studie „The cost of tax abuse“ (2011) verdeutlicht: Entwicklungsländer sind beträchtlich verletzlicher als Industriestaaten. In Afrika beträgt der Verlust an Steuereinnahmen rund 80 Milliarden Dollar jährlich, fast so viel, wie der Kontinent für die Gesundheit ausgibt. Lateinamerika gehen jährlich 376 Milliarden Steuereinnahmen verloren, rund das 1,4-fache seiner Gesund- heitsausgaben.

Von Abgeltungssteuern für Entwicklungsländer spricht niemand. Entwicklungsländer setzen mehr und mehr auf den automatischen Informationsaustausch. Das UN Tax Committee stellte schon 2009 fest, Entwicklungsländer würden vom Automatismus profitieren. Der indische Premierminister Manmohan Singh plädierte beim letzten G-20-Gipfel im November 2011 ebenfalls für den automatischen Informationsaustausch.

Die OECD hält jedoch nach wie vor am Modell des Austausches auf Anfrage mit bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen fest. Zwar hat die OECD die Anforderungskriterien in den letzten Jahren stetig verbessert, allerdings ist dieses Modell insbesondere für Entwicklungsländer langsam, ineffizient, teuer und letztlich unwirksam. Im Gegenteil, Entwicklungsländer müssen, wenn sie neue Doppelbesteuerungsab- kommen mit Industrieländern abschließen oder bestehende revidieren, beträchtliche Konzessionen eingehen. Sie werden gezwungen, ihre Quellensteuersätze für Zinsen, Dividenden   und Lizenzen ausländischer Gesellschaften zu senken. Damit verlieren Entwicklungsländer massiv an Steuersubstrat. Argentinien hat deswegen jüngst ein entsprechendes Abkommen von 1997 mit der Schweiz einseitig beendet. Das Abkommen war zwar nie ratifiziert, jedoch provisorisch angewendet worden. Argentinien erhöht damit den Freiraum für Quellensteuern.

Das TJN ist überzeugt, dass sich auf lange Frist der automatische Austausch international durchsetzen wird. Einen Schritt vorwärts haben die USA mit ihrem Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) getan, indem sie faktisch ausländische Finanzinstitute dazu verpflichten, automatisch über die Auslandkonten ihrer Steuerpflichtigen zu infor- mieren. Sie sind zudem bereit, mit einigen EU-Ländern Abkommen auf gegenseitigen Datenaustausch auszuhandeln.

Transparenz, Transparenz und nochmals Transparenz!

Das TJN setzt sich nicht nur für einen wirksamen Informationsaustausch ein. Vielmehr kämpft es gegen die Geheimniskrämerei im gesamten Finanzsektor. Das TJN hat deshalb bereits zum zweiten Mal seinen Financial Secrecy Index publiziert. An der Spitze dieses Indexes stehen beileibe nicht einfach die exotischen karibischen Finanzzentren, sondern die Schweiz, Luxemburg, die USA, London, Singapur usw. Mit diesem Index tragen wir zum besseren Verständnis der globalen Finanzflüsse, der Korruption und illegaler Finanztransaktionen bei.

Zu den zentralen Transparenzforderungen des TJN gehört auch die Verpflichtung international tätiger Unternehmen für detaillierte, länderweise Offenlegungspflichten (Country-by-country-reporting). Die USA haben dies für Rohstoffunternehmen bereits in beschränktem Maß eingeführt, die EU diskutiert solche Vorschläge ebenfalls. Doch die Vorschläge der Europäischen Kommission sehen verhängnisvolle Ausnahmen vor. Unternehmen sollen dann nicht verpflichtet werden zur Veröffentlichung von Zahlungen wenn dies in den betroffenen Ländern gesetzlich verboten sei. Soll die Publizitätspflicht ausgerechnet dort ausgesetzt bleiben, wo Regierungen und Unternehmen ihre Missetaten zu verstecken suchen?

Schließlich braucht es klare Transparenz bei den Eigentumsverhältnissen von Unternehmen, Tochtergesellschaften, Stiftungen, Trusts (beneficiary ownership) ebenso wie klare und einfache Regeln für die anzuwendenden Verrechnungspreise für konzerninternen Handel von Gütern und Dienstleistungen zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften. Dieses sogenannte Transfer Pricing wird in großem Stil missbraucht für Gewinn und Verlustverschiebungen zwecks Steuerersparnis.

Die Arbeit wird dem TJN nicht so bald ausgehen. Wir freuen uns, mit dem VIDC ein neues und aktives Mitglied gefunden zu haben und zählen auf enge Zusammenarbeit. (18.04.2012)