Warum die Ausdehnung der erweiterten EU-Zinsrichtlinie auf die Schweiz erreichbar ist


Kampagneninfo des Bündnisses „Kein Freibrief für Steuerbetrüger“ (pdf hier)


Effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung in Europa: Warum die Ausdehnung der erweiterten EU-Zinsrichtlinie auf die Schweiz erreichbar ist

Die EU-Zinsrichtlinie von 2003

Die gegenwärtige EU-Zinsrichtlinie von 2003[1] sieht vor, dass EU-Mitgliedsstaaten sowie einige Drittstaaten sich gegenseitig über Zinseinkünfte auf Auslandskonten von EU-BürgerInnen informieren (automatischer Informationsaustausch, AIAT). Während einer Übergangsphase wurde Österreich und Luxemburg zugestanden, dass sie statt Informationsmitteilungen eine Quellensteuer von heute 35% auf dieselben Zinseinkünfte erheben dürfen und 75% dieser Einkünfte dem Wohnsitzland des wirtschaftlich Berechtigten übermitteln.

Diese Übergangslösung endet gemäß Artikel 10 der EU-Zinsrichtlinie automatisch[2], sobald die EU als ganze mit der Schweiz (und vier anderen Kleinstaaten, die sich jedoch alle hinter der Schweiz „verstecken“) ein Abkommen über den Informationsaustausch „auf Ersuchen“ gemäß dem OECD-Standard von 2002 abschließt (sogenannte EU-Betrugsbekämpfungs-abkommen). Bis 2009 war das unwahrscheinlich. Aufgrund des internationalen Drucks hat die Schweiz 2009 jedoch ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegen diesen Standard formal aufgegeben. Deshalb wäre die Schweiz wohl recht einfach zu einem solchen Abkommen zu bewegen.

Doch diese Art des Informationsaustauschs „auf Ersuchen“ ist extrem schwach[3]. Im Grunde muss der ersuchende Staat bereits alle Informationen kennen, bevor er ein aussichtsreiches Informationsgesuch stellen kann. Bis April 2011 blockierten Österreich und Luxemburg im ECOFIN daher die Erteilung eines Mandats an die EU-Kommission, ein solches Betrugsbekämpfungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz auszuhandeln. Sie befürchteten eine Schlechterstellung, weil die Schweiz dann „nur“ zum Informationsaustausch „auf Ersuchen“ gemäß dem 2002er OECD-Abkommen mit der EU verpflichtet wäre, während Luxemburg und Österreich aber den automatischen Austausch gemäß der EU-Richtlinie von 2003 einführen müssten.
Die Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie
Auch die EU-Richtlinie von 2003 weist große Schlupflöcher auf. So ist es ein leichtes, über die Vorschaltung von Briefkastenfirmen, Versicherungsmänteln oder Ermessensstiftungen der Erfassung durch die Richtlinie zu entgehen. Deshalb hat die EU-Kommission 2008 eine überarbeitete Variante der Zinssteuerrichtlinie vorgestellt[4] und bis 2011 verfeinert[5]. Diese Variante könnte ein enorm wirkungsvolles Instrument zur effektiven und gerechten Besteuerung von Kapitaleinkünften und zur Verbrechensbekämpfung werden. Sie hat das Potential, die wichtigsten Schlupflöcher der alten Zinsrichtlinie von 2003 zu stopfen.

Der überarbeitete Richtlinien-Entwurf stand schon einige Male im ECOFIN zur Debatte. Doch weil er nur im Paket zusammen mit der Erteilung eines Mandats zur Verhandlung eines Betrugsbekämpfungsabkommen mit der Schweiz behandelt wurde, wurde der Änderungsentwurf von Luxemburg und Österreich mit blockiert. Bei einem erfolgreichen Abschluss beider Verhandlungen wäre die von Österreich und Luxemburg befürchtete „Schlechterstellung“ gegenüber der Schweiz noch größer gewesen: Österreich und Luxemburg wären von der überarbeiteten Richtlinie betroffen, während die Schweiz „nur“ den Informationsaustausch „auf Ersuchen“ gemäß OECD 2002 hätte implementieren müssen.

Im April 2011 wurde im ECOFIN eine Lösung dieser Blockade erarbeitet: Es wurde vereinbart, die Frage der Betrugsbekämpfungsabkommen (und somit die Frage nach dem Ende der Übergangsfrist für Luxemburg und Österreich) von der Erweiterung der Zinsrichtlinie zu entkoppeln. Damit könnte ein Verhandlungsmandat zur Ausdehnung der erweiterten Zinsrichtlinie auf die Schweiz erteilt werden, ohne dass gleichzeitig oder noch davor ein Betrugsbekämpfungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz verhandelt würde. Österreich und Luxemburg schienen mit der Lösung einverstanden, weil sie damit den automatischen Austausch (dann gemäß erweiterter Richtlinie) nur dann einführen müssten, wenn die Schweiz ebenfalls einem automatischen Austausch zustimmt.
Warum die bilateralen Abkommen die Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie sabotieren

Aufgrund der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland sowie Großbritannien, die eine anonyme Abgeltungssteuer einführen sollen und an mehreren Stellen behaupten, sie seien dem automatischen Austausch „gleichwertig“, haben Österreich und Luxemburg im September 2011 jedoch erneut grundsätzliche Einwände gegen den automatischen Informationsaustausch der EU-Richtlinie vorgebracht[6]. Die beiden Länder hoffen, mit ähnlichen Sonderregelungen einen automatischen Informationsaustausch doch noch von sich abwenden zu können. Die jüngste Abstimmung im ECOFIN im Mai 2012 hat gezeigt, dass beide Länder ihre Kompromissbereitschaft aufgrund der bilateralen Steuerabkommen aufgegeben haben[7].
 Unterstützt wurden sie dabei zwischenzeitlich von der deutschen Bundesregierung, auf deren massiven Druck hin die Erteilung eines Mandats zu Verhandlungen mit der Schweiz im Februar 2012 von der Tagesordnung des EU-Finanzministerrates gestrichen wurde. Damit wollte die Bundesregierung die EU-Kommission dazu bewegen, ihre Bedenken gegen das Deutsch-Schweizerische Steuerabkommen zurückzunehmen. Die bilateralen Abkommen sabotieren also die Möglichkeit, mit vereinten Kräften aller EU-Länder (inklusive Österreich und Luxemburg) auf die Schweiz einzuwirken, den automatischen Informationsaustausch einzuführen. 
Handlungsoptionen
Deutschland sollte das bilaterale Abkommen mit der Schweiz fallen lassen und stattdessen auf EU-Ebene auf Verhandlungen mit der Schweiz über die Anwendung der überarbeiteten Zinsrichtlinie hinwirken. Bei einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen wären Österreich und Luxemburg ebenfalls zu einer vollen Übernahme des automatischen Informationsaustauschs nach der erweiterten EU-Zinsrichtlinie verpflichtet.

Zumindest Österreich hatte bereits erklärt, dass das Land im ECOFIN einem Verhandlungsmandat an die EU-Kommission über die Aufnahme von Verhandlungen mit der Schweiz und vier anderen Staaten über die Anwendung der überarbeiteten Zinsrichtlinie zustimmen würde. Vorbedingung ist allerdings, dass nicht gleichzeitig ein Mandat für ein Betrugsabkommen erteilt wird.
Ablauf:
1.            Deutschland überzeugt seine wichtigen europäischen Nachbarn davon, dass ihr gemeinsame politische Projekte am Herzen liegen. Die Weichen für zukünftige, effektive Kapitalertragsbesteuerung in Europa werden richtig gestellt.

2.            Die Bundesregierung könnte sich entsprechend ihres innenpolitischen Handlungsspielraums 2012 aktiv um eine Unterzeichnung des überarbeiteten EU-Zinsabkommens seitens der Schweiz nach Erteilung des EU-Verhandlungsmandats bemühen.

3.            Die Schweiz kann gemeinsam mit Deutschland, Österreich und Luxemburg darauf hinwirken, dass die überarbeitete Zinsrichtlinie die Errichtung von Registern angelsächsischer Trusts umfasst und sorgt so für eine gleichmäßige Besteuerung in ganz Europa.

4.            Das bilaterale Abgeltungssteuerabkommen verschwindet leise in der Versenkung.

Stand: Juli 2012
Das Kampagnenbündnis „Kein Freibrief für Steuerbetrüger“ wird getragen vom Kampagnennetzwerk Campact, Tax Justice Network, Attac Deutschland, der Verdi-Fachgruppe Finanz- und Steuerverwaltung, der Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe, Medico International und dem Südwind-Institut. Den Online-Appell der Kampagne haben inzwischen schon über 91.000 Menschen unterzeichnet: http://www.campact.de/steuer/sn1/signer oder http://www.attac.de/aktuell/steuerflucht/online-aktion.


[1]Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:157:0038:0048:de:PDF
[4]ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/personal_tax/savings_tax/savings_directive_review/com(2008)727_en.pdf
[5]Aktueller Entwurf von März 2011: register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st06/st06946.en11.pdf